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Utopidorium 6

Cory und die Kreationisten

· Korridorium,Utopion

Am 1.8.2012 hätte im Korridorium eigentlich, wie schon an den 264 Tagen vorher, Corys tägliches Posting erscheinen sollen. Doch an diesem Tag wurde, wie sich herausstellte, das Blog gehackt.

Es verunglimft den Glauben an Gott und die Bibel. Wir, die Creationists Anonymous(German Exponents) haben den Kampf gegen solche Diffarmierungen auf die Fahnen geschrieben und zensieren mit Gottes Beistand ab sofort unerbittlich pornographische Inhalte wie hier der Satz, der in diesem Web-Blog immer am Anfang steht.

»Dies ist nur der Anfang«, hieß es in dem nicht nur orthografisch bedenklichen Bekennerbrief weiter. »Möge Gott der Allmächtige die Autorin und die Leser dieser Webseit von Ihrem Irrrglauben befreien!«

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Kreationismus: Der Glaube, Evolution und Erdgeschichte seien ein Irrtum, und die Welt sei in einem Rutsch erschaffen worden, mitsamt Sauriern und Mensch. Oder, wie es im Korridorium vorher heißt: Kreationisten (zumindest die Neue-Erde-Kreationisten) glauben, „Jesus habe bei seiner wunderbaren Brotvermehrung selbstverständlich auch die Dinosaurier gespeist. Zumindest die vegetarischen“.

Dass die „Creationists Anonymous“ daraufhin (kurzzeitig) Corys Blog, das sich nicht zuletzt auch Wissenschaft und Aufklärung verschrieben hatte, okkupierten, war der Versuch einer »feindlichen Übernahme«.

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Von so einer erzählt Cory auch – das Piktogramm auf dem Titelbild deutet es an – in Utopion. Aber die Parallelen zwischen Corys fraktalem Blogroman und dem Doppelroman gehen noch weiter, habe ich entdeckt. Denn in letzterem haben auch die Kreationisten wieder einen Auftritt – und das erneut im Zusammenhang mit einem Blog, dieses Mal dem von Louise Kaska, in dem sie die elfjährige Pandora Engel von ihren Abenteuern mit einem Flaschengeist erzählen lässt.

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Pandora lebt in den USA. Ihr älterer Bruder unternimmt, berichtet sie im Blog, einen Klassenausflug zu einem texanischen Kreationistenmuseum. (Das gibt es offenbar wirklich.)

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Die „Beweise“, die dort für ein kreationistisches Weltbild präsentiert werden, werden dann zuhause in Pandoras Familie diskutiert und runtergemacht. Prompt kommt es zu einem Shitstorm gegen Louises Blog. Es „pflanze Kindern schädliche Ideen ein“, heißt es aus der Leserschaft, „verbreite Rassen-Stereotypen (in Bezug auf Araber), mache sich über Texaner lustig, betreibe Technikverherrlichung“ (Utopion/Trollland, S. 388).

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Was haben die Kreationisten gegen Cory? Oder anders: Was hat Cory gegen die Kreationisten? Ist es ein persönlicher Feldzug? Cory hat sich in den E-Mails an uns nie dazu geäußert. Es bleibt also Spekulation, was Anlass der Fehde ist. Vielleicht stehen sie auch nur beispielhaft für ein rückschrittliches, wissenschaftsfeindliches Weltbild.
Jedenfalls sind sowohl das Korridorium als auch Louise mit ihrem Blog letztlich gestärkt aus den Anfeindungen hervorgegangen:

Im Korridorium-Kapitel 370 stellt sich heraus, dass unsere Welt (und damit auch wir Menschen) eine Computersimulation sind, offenbar ein Studentenprojekt, das auf einem Supercomputer läuft. Seit vier Monaten.

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Was den Studenten, der uns in der Simulation anspricht, zu der Bemerkung veranlasst: „Ein wenig ist es so, wie es eure Kreationisten behaupten: Gott hat die Welt erst vor kurzem erschaffen, mitsamt der Hintergrundstrahlung des Big Bang und den ganzen Fossilien, durch die sich die scheinbar bereits Milliarden Jahre währende Geschichte der Erde und des Universums rekonstruieren lässt.“
Die Kreationisten, sagt Cory hier, haben recht! Allerdings ist die Welt viel jünger, als selbst die Junge-Erde-Kreationisten behaupten: nur vier Monate. Damit schlägt Cory sie um Längen. (Und legt den Kreationisten nahe, dass sie sich als bloße Computersimulation begreifen müssen.)

Was den Shitstorm angeht, dem Louise ausgesetzt war, erzählt sie später von ihrem Blog: „Okay, ich habe Leser verloren. Aber auch neue hinzugewonnen. […] Seitdem baue ich immer wieder kleine Seitenhiebe gegen rückschrittliches Bewusstsein und Scheuklappendenken ein. Die neuen Leser und Leserinnen wissen das offensichtlich zu schätzen.“ (Utopion/Trollland, S. 561)

Wir hoffen: Sie auch! Als Herausgeber wünschen wir uns einen möglichst großen Leserkreis für Corys Romane. Kreationisten allerdings (inklusive der fiktiven „Creationists Anonymous“) werden wohl keine nachhaltige Freude daran haben …

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